Auszug aus soziologie heute, Juni 2022
VON BERNHARD HOFER
Soziologinnen und Soziologen prägen den beruflichen Alltag und die Gesellschaft insgesamt – und zwar stärker als dies in Fachkreisen oder in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Vereinfacht ausgedrückt befassen sie sich wissenschaftlich mit dem Zusammenleben von Menschen in (der) Gesellschaft(en). Das Hauptaugenmerk ihrer Arbeit richtet sich auf die Gesellschaft mit ihren Phänomenen und Prozessen des sozialen Wandels. Zum einen wirken sie als Stabilisatoren der Gesellschaft, z.B. als Berater in der Politik, zum anderen treten sie für notwendige Veränderungen ein. Letzteres ist vor allem dann der Fall, wenn die Gesellschaft sich sozialen oder ökonomischen Herausforderungen gegenüber sieht. In solchen Fällen ist soziologisches Fachwissen zur Gewinnung von Erklärungsansätzen und Strategieentwicklung gefragt.
Auch auf die Gefahr hin, mich so manch kritischen Stimmen aus der eigenen Disziplin auszusetzen, versuche ich in diesem kurzen Beitrag der Frage nachzugehen, was Soziologinnen und Soziologen eigentlich machen (sollen), oder – um es etwas schärfer zu formulieren – was gute Soziolog/innen eigentlich ausmacht.
Wenn wir hier von „Soziologinnen und Soziologen“ sprechen, so sind damit nicht nur Lehrende und Forschende an Universitäten oder Hochschulen gemeint, sondern auch all jene, die als solche außerhalb dieser (geschützten) Institutionen in der Praxis zeigen, dass sie durch ihre speziellen Kompetenzen zum Verständnis und zur Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit beitragen.
So findet man Soziologinnen und Soziologen u.a. in folgenden Arbeitsfeldern: Forschung (Sozial-, Markt- und Meinungsforschung, Grundlagenforschung …), Bildung (Lehre, Erwachsenenbildung …), Management, Beratung in Politik, Wirtschaft und Kultur, Organisationsarbeit und Personalentwicklung, Sozial- und Gesundheitsbereich, Kultur, Verwaltung u.v.m.
Eine der besonderen Stärken und zugleich auch besonderen Schwächen dieser Berufsgruppe ist ihre Kritikfähigkeit. Eine Stärke deshalb, weil sie aufgrund ihrer Ausbildung mit analytischem Denken und Handeln vertraut sind und es verstehen, theoretische und methodische Grundkonzepte kritisch zu hinterfragen. Eine Schwäche ist es dann, wenn diese Kritikfähigkeit soweit geht, andere (neuere) Sichtweisen, Theorien und Methoden zugunsten der eigenen Position ohne fairen Diskurs abzuhalftern. Im Extremfall werden dabei noch Jünger um sich geschart, sodass jeglicher wissenschaftliche Diskurs im Keim erstickt wird.
Viele soziologische Theorien stehen in der Deutung der sozialen Welt zum Teil in Konkurrenz zueinander und alle bisherigen Versuche, soziale Verhältnisse in einer soziologischen Gesamttheorie zu erfassen, scheiterten bislang, da die gesellschaftlichen Wirkungsweisen und das soziale Handeln einfach zu komplex sind. Der Sache dienlicher wäre es sicherlich, den zahlreichen Verknüpfungen und Verbindungslinien zwischen verschiedenen Theoriepositionen und methodischen Auffassungsweisen1 mehr Augenmerk zu schenken.
Doch was macht nun wirklich ein(e)n gute(n) Soziologen/Soziologin aus?
Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) und der Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) beschlossen 1992 einen gemeinsamen Ethikkodex für Soziologen. Darin werden Soziologen u. a. zur Objektivität, Neutralität und wissenschaftlichen Unabhängigkeit verpflichtet. Bei Verstößen sind zunächst Schiedsverfahren, aber auch standesrechtliche Ahndungen vorgesehen. Zuständig ist dafür eine ständige gemeinsame Ethikkommission der beiden Verbände DGS und BDS.
Der Berufsverband der Soziologinnen und Soziologen Österreichs erstellte 2008 das Berufsleitbild für die Soziologinnen und Soziologen Österreichs und einen Ethikkodex, welche eine Orientierungshilfe bieten. Diese eignen sich meines Erachtens nach sehr gut darzustellen, welche Eigenschaften Soziologinnen und Soziologen aufweisen sollten, um den an sie gesetzten Erwartungen gerecht zu werden.
Soziologinnen und Soziologen haben ein Studium mit Hauptfach „Soziologie“ an einer staatlich anerkannten Universität oder Hochschule erfolgreich abgeschlossen und dadurch die Befähigung zum praktisch-wissenschaftlichen Arbeiten erlangt.
Aufgrund ihrer Ausbildung sind sie mit analytischem Denken und Handeln vertraut und verstehen es, theoretische und methodische Grundkonzepte in der sozialen Praxis umzusetzen. Ihr Wissen um die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen der verschiedenen Methoden empirischer Sozialforschung ermöglicht eine interdisziplinäre, flexible und lösungsorientierte Herangehensweise an konkrete Fragestellungen. Durch ihre Beschäftigung mit speziellen Soziologien sind sie für bestimmte gesellschaftliche Teilbereiche und Prozesse besonders sensibilisiert. Das Profil bzw. der Kompetenzbereich von Soziologinnen und Soziologen ist abhängig von der absolvierten Universität/Hochschule und von der Auswahl der jeweiligen Schwerpunkte sowie der in Weiterbildung erworbenen Kompetenzen– zum Beispiel Gesundheitssoziologie, Entwicklungssoziologie, Organisationssoziologie etc.
In ihrer beruflichen Praxis sind sie den neuesten Erkenntnissen aus Forschung und Lehre verpflichtet. Ständige Weiterbildung und der Erwerb von Zusatzkompetenzen aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen ermöglichen ihnen eine adäquate und versierte Auseinandersetzung mit der sozialen Welt. Durch ihre fächerübergreifende Betrachtungsweise sind Soziologinnen und Soziologen dafür prädestiniert, „Brücken“ zu anderen Disziplinen zu schlagen.
Ihre eingesetzten soziologischen Methoden sind der jeweiligen Fragestellung angemessen und die Ergebnisdarstellung ist transparent und nachvollziehbar.
Soziologinnen und Soziologen beziehen in ihre Arbeit den sozioökonomischen Kontext mit ein und handeln selbstreflektiv, empathisch, konstruktiv kritisch und unparteiisch. Kernkompetenzen und Professionalisierungsmonopol liegen im Erkennen der sozialen Ordnungen in Gruppen und sonstigen gesellschaftlichen Strukturen. Sie vereinfachen komplexe gesellschaftliche Phänomene und Situationen auf klare Aussagen für effiziente Lösungen. Durch fundierte soziologische Beratung tragen sie so zur Entscheidungsfindung ihrer Auftraggeber bei.
Soziologinnen und Soziologen stehen vor allem im Dienst der Allgemeinheit und orientieren sich am öffentlichen Wohl. Sie orientieren sich an den Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft und an den in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formulierten Werten. In der Ausübung ihres Berufes streben sie nach wissenschaftlicher Integrität und Objektivität. Dabei sind sie sind den bestmöglichen Standards in Forschung, Lehre und sonstiger beruflichen Praxis verpflichtet.
Soziologinnen und Soziologen tragen große soziale Verantwortung, da durch ihre Empfehlungen, Aussagen und Entscheidungen das Leben ihrer Mitmenschen stark beeinflusst wird. Geben sie fachspezifische Urteile ab, sollen sie ihr Arbeitsgebiet, ihren Wissensstand, ihre Fachkenntnis, ihre Methoden und ihre Erfahrungen eindeutig, angemessen und nachvollziehbar darlegen. Dementsprechend sollen sie auch geeignete Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ein möglicher Missbrauch und daraus resultierend nachteilige Auswirkungen auf Auftraggeber, Forschungsteilnehmende, Kollegen- bzw. Mitarbeiterschaft und Studierende vermieden werden.
Der Berufsverband der Soziologinnen und Soziologen Österreichs (https://soziologie.wordpress.com) legt großen Wert auf die Qualifizierung, also laufende Aus- und Weiterbildung seiner Mitglieder. Mit Führung eines BSÖ-Ethik-Commitment-Siegels wird dokumentiert, dass das jeweilige Mitglied die für die Berufsausübung als Soziologe/Soziologin erforderlichen Leistungsnachweise erbracht hat und sich an die im BSÖ-Ethik-Kodex angeführten Anforderungen bindet. Das BSÖ-Ethik-Commitment-Siegel ist sichtbarer Ausdruck der Selbstverpflichtung zum Einhalten bestimmter ethischer Grundprinzipien für Soziologen und Soziologinnen. Sowohl in der Innen- als auch Außenwirkung dient es der Orientierung und zur Abgrenzung und trägt somit dazu bei, den Stellenwert der Soziologie sowohl im Bereich der Wissenschaft zu erhöhen als auch die Profession der Soziologinnen und Soziologen und deren Einsatzfelder in der Öffentlichkeit bekannter zu machen.
Literatur:
1) Vgl. J. Morel, E. Bauer, T. Meleghy, H.-J. Niedenzu, M. Preglau H. Staubmann (Hrsg.): Soziologische Theorie. Abriss der Ansätze ihrer Hauptvertreter. 9., aktualisierte und erw. Auflage. de Gruyter Oldenbourg, München 2015